Warum treten epileptische Anfälle kurz vor der Periode auf?

Epileptische Anfälle entstehen durch die vermehrte und synchrone Entladung einer umschriebenen oder ausgedehnteren Nervenzellgruppe im Gehirn zu einem willkürlichen Zeitpunkt. Warum die betroffenen Nervenzellen sich in diesem Moment synchron entladen, ist in Regel nicht bekannt. Es gibt jedoch Faktoren, die unter Umständen dazu beitragen können, dass Anfälle (vermehrt) zu bestimmten Zeitpunkt auftreten. Bei Frauen kann ein solcher zeitlich umschriebener Einflussfaktor die Wirkung von sexuellen Steroidhormonen auf Nervenzellen im Gehirn sein. Unter sexuellen Steroidhormonen versteht man Hormone, die in den Eierstöcken gebildet werden und die sich während des Menstruationszyklus in unterschiedlichem Maße im Blut und damit auch in anderen Körperorganen, wie dem Gehirn, nachweisen lassen. Die Bildung dieser Hormone wird gesteuert durch die übergeordnete Hirnanhangsdrüse, deren Hormone Einfluss auf die Leistung der Eierstöcke nimmt.

Die sexuellen Steroidhormone sind die Östrogene und das Progesteron. Beide Hormone erreichen die Nervenzellen des Gehirns und können dort an Rezeptoren, d.h. Bindungsstellen, aktiv werden und die elektrische Entladung der Zellen hierdurch beeinflussen. Nervenzellen mit solchen Bindungsstellen für sexuelle Steroidhormone sind im Gehirn in unterschiedlichem Maße verteilt. Ein Schwerpunkt ihres Nachweises findet sich im Schläfenlappen, insbesondere in seinem inneren Anteil, der Amygdala und dem Hippocampus. Diese Zone ist auch sehr häufig Ausgangspunkt von fokalen epileptischen Anfällen.

Es ist bekannt, dass Östrogene durch die Bindung an erkrankte Nervenzellen deren epileptische Entladung fördert und Progesteron die epileptische Entladung vermindert. Somit ist Östrogen ein anfallsförderndes, Progesteron ein anfallshemmendes Hormon.

Menstruationszyklen sind normalerweise in ihrer Mitte von einem Eisprung begleitet (ovulatorischer Zyklus), am Ende des Zyklus folgt eine Periodenblutung. Der Eisprung wird ausgelöst durch einen Impuls der Hirnanhangsdrüse und geht einher mit einer für wenige Stunden anhaltenden sehr starken Ausschüttung von Östrogenen aus den Eierstöcken. Dieser starke Anstieg der Östrogene kann an den erkrankten Nervenzellen zu einer Erregungssteigerung und damit einer Anfallszunahme führen.

Nach dem Eisprung kommt es zu einer vermehrten Produktion von Progesteron. Dieses anfallshemmende Hormon dominiert somit die zweite Hälfte des ovulatorischen Menstruationszyklus und schützt vor epileptischen Anfällen. 2-3 Tage vor Einsetzen der Monatsblutung wird die Produktion des Hormons Progesteron allerdings drastisch vermindert, so dass seine Körperkonzentration innerhalb weniger Tage deutlich absinkt. Es kommt daher zu einem Entzug dieses anfallshemmenden Hormons und damit bei einigen der Frauen, die an einer Schläfenlappen-Epilepsie leiden, zu einer vermehrten Anfallsmanifestation kurz vor Einsetzen der Menstruationsblutung oder in den ersten Tagen der Menstruationsblutung. Anfälle, die sich zum Zeitpunkt der Menstruationsblutung ereignen sind daher Entzugsanfälle durch das Absinken des Hormons Progesteron.

Zusammenfassend ist folgendes festzustellen:

1.Sexuelle Steroidhormone, deren Konzentration in einem Zyklus schwankt, können die Nervenzellaktivität und damit auch die epileptische Aktivität beeinflussen.

2.Ein wesentlicher Einfluss ist nur zu erwarten bei Frauen, deren Epilepsie ihren Ursprung im Schläfenlappen, besonders im inneren Teil des Schläfenlappens, hat.

3.Epileptische Anfälle, die in den Tagen der Monatsblutung auftreten, sind nur dann zu erwarten, wenn bei der betroffenen Frau ein Menstruationszyklus mit Eisprung (sogenannter ovulatorischer Zyklus) stattfand, weil es nur dann zum Anstieg von Progesteron in der zweiten Zyklushälfte und somit zu einem drastischen Abfall von Progesteron kurz vor der Monatsblutung kommt.

4.Perimenstruelle Anfälle, die man als katameniale Anfälle bezeichnet, sind von ihrer Entstehungsursache somit Progesteronentzugsanfälle.

Exkurs Die hormonelle Behandlung solcher Anfälle ist schwierig. Sie gelingt nur dann, wenn der Menstruationszyklus unterdrückt wird, entweder durch die Dauergabe von oralen Kontrazeptiva (sogenannte Pille), oder durch die (allerdings mit vielen Nebenwirkungen verbundene) Unterdrückung der Zyklusbildung durch Gabe von Hormonen, die die Ausschüttung der Hypophysenhormone, die für die Kontrolle der Eierstöcke verantwortlich sind, blockieren (sogenannte GnRH-Antagonisten).

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Antwort:

Autor: Prof. J. Bauer, Univ.-Klinik Bonn , Nov. 2004

Literatur

Bauer J, Burr W, Elger CE. Seizure occurrence during ovulatory and anovulatory cycles in patients with temporal lobe epilepsy: a prospective study. Eur J Neurol 1998;5:83-88

Bauer J, Hocke A, Elger CE. Katameniale Anfälle: Eine Analyse. Nervenarzt 1995;66:760-769

Herzog AG. Three patterns of catamenial seizures. Epilepsia 1997;38:1082-1088

Beirat: Dt. Gesellschaft für Epileptologie, Prof. Dr. A. Schulze-Bonhage, Neurozentrum Freiburg